Donnerstag, 24. September 2015

Zeitenreise 2015 Tag 9 Oh Hammonia!

+++02.06.2015+++


Es sieht gar nicht schlecht aus. Die Sonne scheint, es ist wohl auch nicht zu kalt, aber es weht ein Wind. Der war gestern auch schon da gewesen.
Ich genieße es, wieder ein Bad für mich ganz alleine zu haben und wasche die Haare. Das musste auch so langsam mal sein. Mit dem kleinen Fön, der am Spiegel hängt, bekomme ich sie auch irgendwann wieder trocken und ziehe mich an. Erst mal frühstücken, alles andere bekommen wir dann.
Es ist doch kühl draußen, als ich nach dem kurzen Fußmarsch im Haupthaus angekommen bin. Ich suche mir einen Platz hinten in der Ecke, lege meine Jacke und meinen Rucksack ab und schaue mich am Buffett um. Keine Überraschungen, wie immer. Ich suche mir die Sachen, die ich gerne mag zusammen und trage die Beute zum Platz. Der Kaffee kann wie immer Tote erwecken.
Nach dem Frühstück frage ich noch, ob ich den Rasen mal kurz benutzen kann, um mein Zelt zu trocknen. Kein Problem, so laufe ich rasch hinüber und finde mich bald darauf auf dem Rasen hinterm Haus wieder ein. Im Zelt hängt noch eine Menge Wasser und es ist gut, daß ich alles mal mit einem sauberen Lappen abwische. Der Wind tut sein Möglichstes und hilft das Zelt zu trocknen. Ich muss eigentlich nur aufpassen, daß mir nichts wegfliegt. Derweil beobachtet mich das Zimmermädchen durch eines der Fenster. Aber nein, ich will nicht campen. Ich packe alles wieder in seine Beutel und muss mich nun auch sputen. Ich habe um 11.30 einen kurzen Termin in der Stadt. Also los. Ich ziehe mich rasch um, nehme meinen Tankrucksack mit der Kamera und der Wasserflasche drin, den Helm und laufe runter in die Tiefgarage. Gesa wartet schon auf mich. Einmal kurz geschaut, ob alles in Ordnung ist und dann läuft auch schon der Motor und ich rolle die Rampe hoch. Erst einmal biege ich links rum ab und fahre unten auf die Sülldorfer Landstraße. Ich möchte eben noch meine Tante besuchen. Das ist nicht weit, ein Stück in Richtung Rissen und dann wieder links. Der Friedhof hat einen kleinen Hintereingang, von da habe ich nur ein paar Schritte bis zu dem kleinen Baumfriedhof, auf dem sie begraben liegt.
Als ich wieder zu Gesa zurückkehre, fallen ein paar lustlose Tropfen. Seit dem Frühstück hatte es sich ziemlich rasch bedeckt und es ist jetzt alles grau in grau am Himmel. Es soll heute eigentlich nicht regnen, aber mit so etwas muss man hier immer mal rechnen. Ich rolle durch den kleinen Wendehammer und wieder zurück auf die Sülldorfer. Die Zeit drängt nun wirklich und ich entscheide mich also, direkt gerade durch zu fahren. Also die Osdorfer runter, über die Autobahn, dann am Bahrenfelder Markt vorbei und auf die Stresemannstraße. Hier knäult es ich erfahrungsgemäß ein wenig, wenn man sich dem Bahnhof Holstenstraße nähert. Aber heute morgen habe ich Glück, es ist zwar eine Baustelle und ein wenig Unklarheit über den Straßenverlauf, aber ich komme sehr gut durch. Unter der Sternbrücke durch und dann vorne am Pferdemarkt auf die Feldstraße abgebogen. Am Bunker vorbei, wie oft bin ich bei PPS gewesen, damals. Am Gericht vorbei, hier ist die Straße neu gemacht worden und dann die Kaiser Wilhelm Straße runter. Gleich bin ich da. Ich biege in die Großen Bleichen ab und suche mir einen Parkplatz. Auf dem kleinen Platz vor dem Broschekhaus stehen auch schon andere Motorräder, also packe ich mich dazu. Rasch den Tankrucksack abepfriemelt und ich komme pünktlich zu meinem Termin.
Wie ich aus dem Kaufmannshaus wieder rauskomme, hat es wieder begonnen etwas lustlos zu tröpfeln. Ich bin gespannt, wie es auf der anderen Seite der Elbe aussehen wird. Da geht es jetzt nämlich hin. Ich starte Gesa, rolle langsam vom Bordstein und bekomme die grüne Ampel gerade noch mit, um Richtung Rödingsmarkt abzubiegen. Ich fahre unter der Hochbahn entlang, bis ich an die Landungsbrücken komme. Blinker links und vor zum Tunnel. Die Anfahrt ist etwas anders als sonst, es wird seit Jahren dort schon gebaut und es ist immer alles anders, wenn ich wiederkomme. Ich stelle Gesa vor dem Automaten kurz ab, ziehe mir eine Karte und wie ich mich wieder in den Sattel schwinge, winkt mich auch schon einer der Männer mit den weißen Mützen zu sich herüber. Er stanzt ein Loch in die Tunnelkarte, ich rolle bis nach vorne an die andere Seite des Fahrkorbes und schon schließt sich hinter mir das Tor. Motor aus. Der Fahrstuhl setzt sich in Bewegung. Es geht abwärts. Schnell die Kamera aus der transparenten Tasche des Tankrucksackes genestelt und ein Bild gemacht.
Schon sind wir unten und das Tor wird vor mir nach oben gezogen. Rasch noch ein Bild und dann wieder Motor an und ab in den Tunnel. Vor mir sind Touristengruppen, die die Ein - und Ausfahrt der Fahrstühle auf der Nordseite verstopfen. Ich stoppe kurz.
Gesas Motor hallt donnernd von den gekachelten Wänden wieder. Die Leute machen Platz, ich kann langsam, etwas schneller als Schrittgeschwindigkeit, durch die Röhre rollen. Brrrommm....! Bei jedem noch so leichten Gasstoß dröhnt es um mich herum. Es ist kühl hier unten, ich habe das Visier geöffnet, damit es nicht beschlägt, und so spüre ich noch sehr viel direkter meine Umgebung.
Ich komme auf der Steinwärder Seite an und werde gleich in einen freien Fahrkorb hineindirigiert. Motor wieder aus, das Tor schließt sich und wir gleiten wieder nach oben.
Zig Mal bin ich hier mit dem Fahrrad, mit dem Auto, oder zu Fuß durch den Tunnel durch. Aber noch nie mit dem Motorrad. Mit meinem Motorrad. Ich bin stolz wie Bolle seine Olle und rolle ans Tageslicht. Das habe ich geschafft! Klasse! Da der Tunnel saniert wird, ist immer nur eine Röhre frei. Die wird bis Mittags um eins in südlicher Richtung befahren und danach in nördlicher. Ich bin noch vor eins durchgekommen und fahre nun an der Werft Blohm & Voss vorbei in Richtung Hafen. Kopfsteinplaster wie eh und je. Dazwischen Bahngleise, die Aufmerksamkeit erfordern und Kamikaze - LKW. Nicht zu vergessen die "normalen" Autofahrer. Die fahren hier allesamt einen Zacken forscher, als in der sonstigen Stadt. Hafen ist nichts für Weicheier. Vor dem Argentinienknoten staune ich nicht schlecht. Waren da nicht mal Bahnanlagen? Ich hatte doch mit meiner Tante da drüben mal am Schleusenbeckenrand gesessen, wir waren mit den Rädern unterwegs gewesen, und machten nun Pause und verspeisten unsere mitgebrachten Krabben in Gelee und schauten aufs Wasser. Hinter uns wurde rangiert, die Lok schob den Zug an, bommbommbommbommbomm... ging das durch die ganze Wagenschlange. Danach bremste die Lok wieder, wammbammbammbammbammbamm... zog sich das alles wieder in die Länge. Das wiederholte sich etliche Male, es gehörte zur Musik des Hafens.
Nun hatten sie dort eine nagelneue Straße hingebaut. Ich biege auf sie ab, stelle aber fest, daß sie lediglich zu einem Containerterminal führt. Also wende ich und biege ab, in Richtung ehemaligen Zoll am Neuhöfer Damm. Ich möchte ganz nach vorne hin, wo damals diese Kaffeeklappe war, die es lange schon nicht mehr gibt, am ehemaligen Kraftwerk vorbei, unter der Rampe der Köhlbrandbrücke durch, vor der heutigen Einfahrt zum Containerhafen Tollerort. Dort muss ich etwas aufpassen wegen der LKW, aber ich bekomme Gesa doch gut auf den Gehweg. Ich möchte ein Bild von Gesa mit der Köhlbrandbrücke machen. Es ist aber alles recht zugewachsen in der Zwischenzeit. Also schiebe ich sie rückwärts auf den Anleger. Vorne steht ein Pärchen und schaut ein eine Landkarte. Als ich höre, daß sie Englisch sprechen, frage ich, ob ich helfen kann. Die Frau ist Deutsche und die Beiden möchten eigentlich raus aus dem Chaos des Hafens, irgendwohin ins Alte Land oder so. Da sind sie hier verkehrt. Es gibt zwar eine Hafenfähre, aber wann die fährt... Das Trajekt gibt es auch schon ewig nicht mehr, also auch keine Option. Ich schicke sie den ganzen langen Weg wieder zurück bis zum ehemaligen Zoll und erkläre ihnen, wie sie dann fahren sollen. Der einzige Weg führt über die Kattwykbrücke. Die ist noch recht weit weg. Dafür kann ich ihnen versprechen, daß danach ziemlich schlagartig Ruhe sein wird. Sie bedanken sich und radeln davon, wieder zurück, wie ich es ihnen empfohlen habe. Ich rücke Gesa noch ein wenig zurecht, mache mein Foto und verlasse ebenfalls diesen Ort.
Den Weg über die Kattwykbrücke habe ich auch vor zu fahren. Ich bin gespannt, ob sie geöffnet ist, das ist nicht immer der Fall, nicht nur weil es eine Hubbrücke ist, sie ist auch so des Öfteren gesperrt. Ich komme über die Rethebrücke, daneben bauen sie eine neue Brücke, die die alte Hubbrücke ersetzen wird. Dahinter hat sich mal wieder alles verändert. Die Straßenführung, die früher einfach und normal war, ist nun reichlich unübersichtlich geworden. Ich erinnere mich daran, daß wir hier ein paar Mal auch mit den Rädern gestanden hatten und drüben aus dem Speicher Schlagzeug gehört hatten. Da hatte anscheinend jemand seinen Proberaum gehabt. Ob es das noch gibt?
Ich fahre weiter, an der alten Hansamatex vorbei und sehe schon auf den Schildern, daß die Kattwykbrücke geöffnet ist. Glück gehabt. Sonst hätte ich über Harburg fahren müssen. Allerdings ist ein kleiner Stau dort, weil gerade ein Güterzug die Brücke überquert. Da die Eisenbahn sich die Fahrbahn mit dem Straßenverkehr teilt, müssen die Autos und LKW warten, bis der Zug weg ist.
Hinter der Brücke biege ich gleich die erste Straße nach rechts ab und augenblicklich umgibt mich tiefer Friede. Katen stehen am Deich, es ist grün, eine kleine Straße, kein großer Verkehr. Ich bin in Moorburg. Die Straße folgt sanft dem Verlauf der alten Süderelbe, die es nicht mehr gibt. Früher hat sie Alten - und Finkenwärder zu Inseln gemacht. Bis man ihr das Wasser abgegraben hatte. Vorne und hinten zu. Aus. Hinter der Autobahn biege ich rechts ab, ich möchte nach Altenwerder. Zumindest dort hin, wo es mal gewesen ist.
Ich muss lange suchen, bis ich tatsächlich die Einfahrt finde. Sie ist nun ganz woanders, als sie gewesen war. Ich komme über die alte Dorfstraße, ich bin fast schon vorne, wo die kleine Werft gewesen war, hinter dem Laden. Hier bin ich oft gewesen mit meiner Tante. Das Dorf Altenwerder, das älteste der Elbinseln, hatte man in den Siebzigerjahren niedergerissen um einer Hafenerweiterung Platz zu machen. Diese Erweiterung war schon vor dem Kriege geplant gewesen, aber bislang nicht umgesetzt worden. Vom Dorf war nicht mehr viel geblieben. Es gab den kleinen Laden am Hafen noch, dort standen noch zwei, drei weitere Häuschen, in einem wohnte Hannes mit seiner Familie, den wir vom Klönschnack am Hafen kannten, weil er da an seinem Holzboot bastelte, da wohnte auch noch Fischer Oestmann, der bekannteste Fischer der Niederelbe, der gerne dabeistand und mitschnackte, dann gab es einen Lehrer und es gab noch ein paar Obstbäume, die zu Bauer Behrmann gehörten und die noch gepflegt wurden. Weiter hinten, zur Autobahn hin, die Kirche. Der Rest war verwildert, es war eine Brache, die von der Natur zurückerobert wurde. Ein tolles Gelände um zu tun, was man in der Großstadt nicht tun konnte, man konnte Feuerchen machen, Kaffee kochen, einfach etwas Blödsinn machen, ohne das gleich ein erhobener Zeigefinger drohte - man hatte seine Ruhe. Im Laden kaufte man noch etwas ein, was man brauchte, Brötchen, den tollen gekochten Schinken und etwas Käse und dann hatte man auch gut zu Essen gehabt. So hätte es bleiben können. Ja, hätte. Ende der Neunzigerjahre setzte sich dann doch der Hafen durch. Es entstand der Contaierhafen Altenwerder. Nur die Kirche blieb übrig und der Friedhof. Die Kirche ist ausgschildert. Ich stelle Gesa frecherweise direkt vor dem Tor ab.
Ein wenig unheimlich ist es schon. Das war es zwar eigentlich schon immer, aber ich habe mich früher immer sicher gefühlt dort. Das ist nun nicht mehr der Fall. In der Nähe gibt es einen Geocache, den hebe ich rasch, mache ein, zwei Fotos und dann bin ich auch schon wieder verschwunden.
Am Aluminiumwerk vorbei, komme ich nach Finkenwärder. Gleich zum Ortseingang gibt es eine Tankstelle, da stille ich erst mal Gesas Durst.
Am ehemaligen Kutterhafen mache kurz Halt und schaue ins Hafenbecken. Finkenwärder war einst die Heimat einer stattlichen Fischereiflotte, die stolz das "HF" am Steven führte. Davon ist heute so gut wie gar nichts mehr geblieben. Es gibt noch eine Handvoll an Fischkuttern, die allerdings nicht mehr die Nordsee pflügen, sondern lediglich in der Elbe fischen. Hier lag noch vor ein paar Jahrzehnten, wenn Finkenwärder Markt war, alles voller Kutter, heute ist hier ein kleiner Hafen für Traditionsfahrzeuge.
Gorch Fock hat über die Finkenwärder Fischerei ein leidenschaftliches Buch geschrieben, das sehr anschaulich Bericht erstattet darüber, wie es früher hier ausgesehen hat. "Seefahrt ist Not!" ist ein Klassiker heute. Von dem, was er da beschreibt, ist praktisch nichts mehr geblieben.
Ich fahre mit Gesa den Nessdeich entlang. Vor mir schleicht ein schwarzes Auto rum, ein unsicherer Geselle, und ich muss mich auf ihn konzentrieren und kann nicht groß rechts oder links schauen. Es geht aus Finkenwärder raus und am Airbusgelände entlang. Früher ging die Straße auch schon mal quer über die Landebahn rüber, aber das ist wohl abgeschafft. In weitem Bogen führt die Straße um die Rollbahn herum. Etwas vor mir ein weiterer Motorradfahrer, sonst nur Autos. Viele Autos. Vorbei an der Sietas- Werft und einer Blitzersäule komme ich nach Cranz. Ich biege ab ins Alte Land. Auf dem Estedeich schlängele ich mich Landeinwärts. Was mir gleich auffällt, es steht viel leer. Das war vor ein paar Jahren noch nicht so gewesen. Hier hatte es immer gebrummt, hier waren immer Touristen gewesen, hier war immer was los. Langsam scheint die Region etwas in einer Art Dornröschenschlaf zu versinken. Bei ein paar schönen alten Gehöften halte ich an und mache ein paar Bilder.
Hier in der Nähe hatte eine Brieffreundin von mir gewohnt. Ich war durch eine Flaschenpost an sie geraten. Meine Tante hatte an der Elbe die Flasche gefunden, die sie vom KüMo ihres Onkels ausgesetzt hatte und mir gegeben. Wir hatten uns lange geschrieben, aber nun habe ich auch schon viele Jahre nichts mehr von ihr gehört gehabt. Was sie wohl macht, ob sie überhaupt noch lebt? Keine Ahnung. Da vorne, da hatte sie doch mit den Eltern gewohnt. Ich parke Gesa am Straßenrand. Am Klingelschild steht noch der Familienname. Also wohnen die Eltern vermutlich noch dort. Ich drücke auf die Klingel. Herzklopfen. Eine ältere Dame öffnet mir. Ich erkenne sie gleich. Sie mich aber nicht. Ich frage nach ihrer Tochter, sie ist etwas abweisend, sagt, die wohne hier nicht. Ich umreiße kurz wer ich bin und warum ich hier bin und anhand der Sachen, die ich erzähle, taut sie auf. Sie gibt mir die Adresse und die Telefonnummer und meint, sie wäre heute zu Hause, ich könne es dort also versuchen. Meine Güte ist das aufregend. Ich bedanke mich, nehme den Zettel und gehe zu Gesa zurück. Sie wohnt gar nicht so weit weg. Das liegt auf meinem Weg. Also werde ich da jetzt hinfahren. Jetzt. Motor an und Gas.
Nach wenigen Minuten stehe ich vor einem Mietshaus in Buxtehude. Ich klingele. Nach einer kurzen Zeit schnarrt der Türöffner. Ich stoße die Tür auf. Wieder Herzklopfen. Die Treppe rauf, da ist die Tür offen. Sie schaut durch die Tür und sieht mich groß an. Auch sie erkenne ich gleich. Meine Brieffreundin ist ziemlich geplättet. Mich hatte sie überhaupt nicht mehr auf der Rechnung gehabt. Es ist eigentlich auch kein Wunder, denn wir haben über zwanzig Jahre nichts mehr von einander gehört. Aber wir haben sofort wieder einen Draht zueinander. Wir sitzen gleich darauf bei ihr in der Stube, bei Kaffee und klönen- erzählen uns dies und das. Es ist ein unglaublich reicher Nachmittag.
Als ich mich verabschiede, verabreden wir, nun wieder öfter Kontakt zu halten. Das ist mit den modernen Mitteln der Kommunikation auch wesentlich einfacher geworden.
Von Buxtehude aus fahre ich über Moisburg in Richtung Tostedt. Dort biege ich auf die B75 ab. Der Wind hat noch mal aufgefrischt und weht nun ziemlich stramm. Es ist ein wenig unangenehm. Wirklich warm ist es auch nicht dabei. Ich fahre von hinten nach Buchholz hinein und suche mir meinen Weg nach Klecken. Ich möchte den Weg fahren, den ich so oft mit dem Fahrrad gefahren bin. Er geht unweit der Autobahn entlang, dann biegt er ab und führt nach Hittfeld. Aber - was ist das? Baustelle, die Straße ist gesperrt. Ich werde nach rechts abgeleitet und lande auf einer nagelneuen Umgehungsstraße. Oh! Hier hat sich aber eine Menge getan. Ich komme unterhalb des Schafkovenbergs auf einen Kreisel, da geht eine Straße nach Lindhorst weiter. Hier war nur Feld und sonst nichts gewesen. Ach je... Ich verlasse den Kreisel in Richtung Hittfeld und suche mir beim Friedhof eine Parkmöglichkeit. Ich möchte meine Eltern besuchen.
Als ich vom Friedhof komme, bin ich still geworden. Ich mache mich wieder fertig und starte Gesas Motor.
Vorne an der Kreuzung biege ich rechts ab und gleich, vor Sponagel, wieder links. Hier hatte meine Großmutter gewohnt, gegenüber das Haus von Frau Knörzer ist abgerissen worden. Ich biege in die Dorfstraße ein. Hier an der Ecke war das Haus von den Altmanns, da ist heute die Gemeinde drin. Alles sieht anders aus. Als ich zur Beerdigung meines Vaters hier war, habe ich mich abends im Dunkeln fast verlaufen. Hier habe ich Weg und Steg gekannt. Nun fremdele ich. Die Bäckerei Seifert gibt es auch nicht mehr. Schnipsel aus der Kindheit tauchen vor meinem geistigen Auge auf. Mit meiner Großmutter hatte ich mal auf dem Heimweg die Brötchen verloren, auf dem Kirchberg habe ich damals gestanden, als man die Gebäude abriß, wo sich heute das schwarze neue Fachwerkhaus befindet. Lehmbek daneben, das war der kleine Laden gewesen, in dem wir immer Einholen waren. Schlachter Lissewski gibt es noch. Ich biege ab. Da vorne war Matthies. Erst auf der einen Seite, dann auch auf der anderen Seite der Straße. Irgendwann war der Teil auf der anderen Seite mal abgebrannt und damit auch das Fahrrad von meiner Großmutter, das zur Reperatur dort war. Da hatte sie dann ein Neues bekommen. Ich biege rechts ab und fahre die Mühlenstraße hoch. Hier war doch dieser kleine Weg gewesen, der zwischen Weiden und Wiesen hindurchführte...
Auf der Lindhorster Straße biege ich in Richtung Maschen ab. Auch hier ist die Straße neu gemacht worden. Ach, hier kommt die Straße von Klecken wieder raus! Ich komme durchs Industriegebiet. Matthies hat hier draußen riesengroß neu gebaut. Unglaublich. Ich komme an die Kreuzung. Karoxbostel links, Maschen rechts. Ich setze den Blinker rechts und gebe Gas. Vielleicht ist Leonhardt ja da. Gleich die erste Straße wieder links, vorbei am Studio in Maschen, gleich bei der Autobahn, und dann links ab ins Dorf. Ich biege noch zwei mal ab und dann stehe ich bei meinem Verwandten in der Straße. Sein Auto kann ich nicht sehen. Doch, da! Der kleine Campinganhänger. Und davor das Auto. Da steht er ja und must irgendwas am Kofferraum rum. Ich rolle neben ihn. "Moin!" Leonhardt schaut hoch "Ach Minya! Mensch, Du hier?" Sofort sind wir in der Unterhaltung drin und es ist, als wäre ich vor ein paar Tagen erst da gewesen. Dabei haben wir uns mindestens zwei Jahre nicht gesehen. "Komm, Olga ist drinnen, die wird sich aber freuen!" Ich stelle Gesa ab, nehme meinen Tankrucksack und den Helm und folge ihm. Olga macht wirklich große Augen. Eigentlich haben die beiden gleich eine Verabredung, aber wenn ich mal da bin, dann wird sich erst mal hingesetzt. Und es dauert nicht lange, da habe ich Brot, Butter, Kaffee, Rührei und Marmelade vor mir stehen. Ohne was gegessen zu haben, gehe ich hier nie fort. Wir unterhalten uns wunderbar, aber irgendwann müssen sie doch los zu ihrer Verabredung und ich möchte auch nach Hamburg zurück, eh es zu dunkel wird und so brechen wir gemeinsam auf. Sie bewundern Gesa noch mal, loben meinen Mut und dann trennen sich unsere Wege auch schon wieder. Schön war es mit Euch Beiden!
Von Maschen fahre ich an die Elbe nach Over. Dabei finde ich aber die Straße nicht, die ich eigentlich fahren wollte. Vielleicht sieht sie aber nur auch wieder ganz anders aus...
Hier brauche ich wegen des Windes mehrere Versuche, um ein relativ unverwackeltes Bild hinzubekommen.
Am Elbedeich geht es entlang nach Harburg. Ich komme hinter der "kleinen Gummi" raus und biege rechts ab. Über die Süderelbe geht es nach Wilhelmsburg hinein. Weiter geht es Richtung Veddel. Ich winde mich zur Freihafenelbbrücke durch und stehe auf einmal schon wieder vor einer Sperrung. Die Brücke ist gesperrt. Das hätte man doch vorher schon mal anschreiben können, oder nicht? Während ich in meinen Helm schimpfe, wende ich Gesa und sehe zu, daß ich auf die Norderelbbrücke komme. Das geht nicht hundertprozentig legal, aber klappt letztlich. Ärgerlich, denn hier will ich eigentlich nicht hin. Also muss ich mich fügen und doch die Amsinckstraße fahren.
Heute abend, beschließe ich, fahre ich einfach auf der Hafenrandstraße weiter und dann Elbchaussee. In der neuen Hafencity ist ohnehin kein Stein mehr auf dem anderen, das hatte ich letztes Jahr gesehen, als ich mit Tom in Hamburg war und wir uns Fahrräder geliehen hatten. Was sollte ich dort also?
Vorbei an den Landungsbrücken und hoch nach Altona, dann nur noch geradeaus. In Blankenese mache ich noch einen Schlenker zur Bank und tanke Geld auf und danach möchte ich eigentlich noch etwas zu Trinken mitnehmen und rolle an die Essotankstelle in Dockenhuden. Aber die hat jetzt schon zu. Wie...? Das war die verlässlichste Tankstelle überhaupt... Neben mir halten zwei Frauen mit einer alten Superténéré. Das Spritfass ist bald leer und sie brauchen Sprit. Aber hier ist weit und breit keine Tankstelle mehr. Ich nenne ihnen ein paar, die mir einfallen, aber sie haben wenig Hoffnung, daß eine davon noch geöffnet haben könnte. Schließlich wenden sie und fahren zurück in Richtung Rissen. Ich fahre die paar Meter noch bis ins Hotel, in der Tiefgarage ist noch Platz für mich, sogar der Platz von gestern, ich stelle Gesa ab, mache sie für die Nacht fertig und verschwinde auf meinem Zimmer.
Es dauert heute nicht mehr lange und ich liege im Bett. Noch kurz meine Erlebnisse ins Buch geschrieben und dann geht auch schon das Licht aus. Morgen wird ein aufregender Tag werden.


Der heutige Tag war unheimlich abwechslungsreich. Es gab so viele spannende Momente, Leute, die ich schon ewig nicht mehr gesehen habe, Dörfer, die mir langsam fremd werden, aber auch Orte, die immer noch so aussehen, wie sie immer schon ausgesehen haben. 191 km bin ich durch Hamburg und das Alte Land gefahren und es war keinen Kilometer langweilig. Was mich besonders berührt hat, war daß ich das allererste Mal mit meinem Motorrad dort gewesen bin. Als wenn man der neuen Liebe seine Familie vorführt.

Donnerstag, 17. September 2015

Zeitenreise 2015 Tag 8 An der Elbe Auen

+++01.06.2015+++


Das Tröpfeln in der Nacht hat wieder aufgehört gehabt. Diesmal war es nicht einer der Zeltnachbarn, der sich ins Gebüsch ergossen hat, wie letzte Nacht, sondern es war leichter Regen, der auf mein Zelt fiel. Das wird schon bis zum Morgen wieder getrocknet sein, denke ich und schlafe weiter.
Tatsächlich ist es am Morgen trocken, das Zelt ist wieder abgetrocknet, das Gras nur feucht und die Wege sind schon wieder etwas staubig, als ich zum Waschhaus schlurfe.
Kühl ist es. Ich erledige die Arbeiten, die zur Vorbereitung des Tages notwendig sind und sehe zu, daß ich zurück zum Zelt komme. Heute morgen sind es schon merklich weniger Leute gewesen, die um die Uhrzeit sich waschen wollten. Viele werden wohl auch gestern Nachmittag schon abgereist sein, denn es waren etliche Autos auch aus dem Berliner Umland hier gewesen. Die werden nur zum Wochenende hier gewesen sein. Wie ich zum Zelt zurückkomme, sieht es nach Regen aus. Also, ALARM!, alles schnellstens verpacken und fertig machen, bis der Regen hier ist, vielleicht schaffe ich es noch trocken abzubauen.
Das erweist sich keine Viertelstunde später bereits als frommer Wunsch. Ein Geräusch, als wenn ganz leicht Sand auf das Zeltdach gestreut würde, dann Pnock! Pnock! die ersten dickeren Tropfen. Und ich mache gerade erst die rote Rolle zu. Dann hilft es nichts. Ich hieve die Stiefel von der hinteren in die vordere Apsis und ziehe sie an. Die rote Ortliebrolle und er Tankrucksack stehen schon hinter mir, der Helm liegt bereit, Zelt auf und raus. Die Rockstraps habe ich auch parat. Ich laufe mit meinem Gepäck zu Gesa und schnalle es mit flinken Griffen auf ihr fest. Der Helm landet auf dem Spiegel. Zurück zum Zelt. Nun rasch die Heringe aus dem sandigen Boden gezogen, es regnet noch nicht stark, aber immerhin, die Zelthaut ist schon nass.
Der junge Mann aus Meissen, der das große blaue Zelt neben mir bewohnt, sitzt unter dem Vordach seines Zeltes, die Beine überschlagen, Frühstück neben sich auf dem Tisch und schaut mir wieder teilnahmslos zu. Ich gebe bestes Kino ab. Vermutlich hoher Unterhaltungswert.
Das Innenzelt habe ich schon abgehängt, dann die Außenhülle runtergerissen und zugesehen, daß ich das Innenleben des Zeltes so rasch wie möglich zuammenfalte. Dann die Hülle zusammengelegt, die Stangen, alles in seine Beutel und den ganzen nassen Kram zusammengerollt und in seinen Sack geschoben. Das Groundsheet lege ich als letztes zusammen und packe es in seine Netztasche. Das kommt mir erst mal nicht in den Beutel. Das würde auch gar nicht rutschen. Ich nicke dem teilnahmslosen Nachbarn noch mal zu und binde auch die letzten Teile auf Gesa.
Nun nehme ich die Regenkombi und den Helm und laufe zur Rezeption vor um zu bezahlen. Das war die richtige Entscheidung, denn vorne knäulen sich die Wohnmobile und Wagen. Nach ein paar Minuten Warten komme ich mit Bezahlen an die Reihe. 40,86€ kosten mich die beiden Nächte und das Fahrrad gestern. Der Platzbetreiber drückt mir zum Abschied noch mal die Hand und hofft daß ich wiederkomme und die Dame an der Kasse fragt, wo es denn heute hingeht mit mir. Ich antworte "Hamburg!". "Na, das ist ja nicht so weit weg!" meint sie. Ein Mann, der hinter mir steht, pflichtet lachend bei, "Ja, da vorne gleich an der Ampel links und dann zieht es sich.". Er scheint das mit der Geographie besser verinnerlicht zu haben.
Als ich bezahlt habe, wurschtele ich mich, noch in der Rezeption, in meine Regenkombi hinein. Da hätte ich im engen Zelt keine Chance gehabt. Zu guter Letzt setze ich den Helm auf und wanke ins Freie. Mist, ich hab schon wieder den Plastikseetang zu Hause vergessen!
Aus dem leichten Regen ist mittlerweile ein respektabler Landregen geworden, was das angeht, habe ich also noch Glück im Unglück gehabt, denn jetzt abzubauen, das wäre lange nicht mehr so einfach gewesen.
Bei Gesa angekommen, kontrolliere ich noch mal alles, dann schwinge ich das Bein über die Sitzbank und lasse den Motor an.
Langsam rolle ich durch das Tor und durch den Wald. Der Zeltplatzbetreiber kommt mir mit dem Auto entgegen und winkt freundlich. Er hat Gäste rasch zur Straßenbahn gebracht.
Auf der Visierinnenseite sind Tropfen. Die kommen da hin, weil ich beim Gehen das Visier offen gelassen hatte. Die Leute hatten mich zwar angesehen, als käme ich vom anderen Stern, aber ich habe keinen Schirm dabei, also nehme ich den Helm.
Die Innenstadt umgehe ich, indem ich hinter dem Neuen Palais durch die Wohngebiete fahre und dann bei Bornstedt auf die Bundesstraße 273 in Richtung Autobahn. - Baustelle. Umleitung. Hm. Was soll ich machen, ich füge mich. Autobahn fahren ist mir heute zu blöde. Ich werde allerdings bald mit einer herrlichen kleinen Straße entlohnt, die teils unter Bäumen, teils zwischen Feldern, in Richtung Ketzin führt. Dort ist von Nauen nichts auf den Schildern zu sehen. Im Gegenteil, die Straße führt eigentlich nur wieder zurück zum Start. Blöd. Nachdem ich ein oder zwei Runden durch das kleine Städtchen gedreht habe, finde ich den Abfluss, den ich suche. Es geht in Richtung Wustermark, aber nach ein paar Kilometern kommt eine kleine Kreuzung, da biege ich linkerhand ab und komme auf eine einsame, kleine Straße, die mich im Bogen nach Nauen führt. Wenn ich mir das jetzt so auf der Landkarte ansehe, dann hätte ich es auch einfacher haben können, aber auch schöner? Ich glaub nicht.
Nauen empfängt mich zwar düster, aber immerhin trocken. Auch hier gibt es Baustellen und Umleitungen, aber ich suche erst einmal etwas zum Frühstücken.
In der Innenstadt findet sich nicht wirklich etwas, was mich anlacht. Es gibt auch keinen Rewe oder vergleichbares. Zumindest habe ich keinen gesehen. Also fahre ich zum Bahnhof, denn da soll es zumindest einen Geocache geben. Das hatte ich mir vorher auf der Karte so rausgesucht. Ich parke Gesa und orientiere mich. Der Cache müsste dort drüben versteckt sein. Das Gelände ist weit einsehbar, ich soll, um zum Versteck zu kommen, einen Weg entlanggehen, den ich zwar dem Prinzip nach finde, der aber so nicht mehr wirklich vorhanden ist. Eh ich nun als knallegelbes Michelinmännchen da durchs Gras über die Wiese stapfe, überlege ich es mir lieber anders und beschließe im Kiosk, der hier anscheinend das Empfangsgebäude ersetzt, nach Kaffee und Nahrung zu schauen.
Etwas düstere, abgerissene Gestalten sitzen auf den Bänken des Busbahnhofes davor und es stehen auch ein paar Leute vor dem Kiosk an Tischen. Ich beschließe, erst einmal die Regenkombi auszuziehen, denn die Regenapp auf dem Händi meint, es wäre mit dem Regnen nun vorbei. Wir werden sehen.
Die Regenkombi ist fast trocken, ich stopfe sie aber nicht in den Aufbewahrungssack, sondern klemme sie einfach nur so fest. Dann mache ich mich auf und schaue, was es im Kiosk so gibt. Ich kaufe eine Geflügelrolle, ein Teilchen und einen Kaffee und frage die Frau hinterm Tresen nach dem Weg. Sie erklärt mir kurz, wie ich um die Baustelle herum komme, ich bedanke mich und stelle mich mit meinem Frühstück nach draußen an einen der Tische. Das Teilchen enthält irgendein Kompott, vermutlich Apfelmus, ist aber, wie die Geflügelrolle, durchaus essbar. Der Kaffee ist auch gut, darauf hatte ich gehofft, und schon bald sieht Nauen für mich schon nicht mehr ganz so düster aus.
Nach einem kleinen Umweg um die Baustelle, biege ich auf die Bundesstraße 5 auf. "Ribbeck" steht auf den Wegweisern. "Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland, ein Birnbaum in seinem Garten stand...!" Genau, das ist das Ribbeck. Ein kleines Dorf an der B5, man ist schneller durchgehuscht, als man den Namen lesen kann. Ich biege im Ort ab, Theodor Fontane Straße. Ein Herrenhaus auf der linken Seite. Hier also ist es. In der Schule hat man es auswendig lernen müssen. Irgendwie anders habe ich es mir vorgestellt. Ich kann gar nicht sagen wie genau, nur anders. Ich drehe eine kleine Runde durchs Dorf und bin schnell wieder verschwunden. Expresstourismus.
Die Bundesstraße heißt Hamburger Straße, ich bin richtig. Nach wenigen Kilometern biege ich allerdings ab. Nur schnurgerade Bundesstraße, das ist doch langweilig. Ich komme nach Senzke rein. Hier habe ich mir einen kleinen Weg ausgesucht, ich bin gespannt, ob der fahrbar ist. Müsste er eigentlich. Denn er ist der einzige Weg zum nächsten Dorf. Auch wenn da jetzt steht: "Fahrradstraße". Vermutlich ist mein Tun dennoch illegal, aber ich wäge ab. Wer wird hier schon groß kommen? Also Gas. Im etwas - schneller - als - ein - Fahrrad - Tempo rolle ich aus Senzke hinaus. Kurz hinter dem Ortsausgang kommt mir eine Fahrradfamilie entgegen. Vater mit Sohn voraus. Ich lächele gequält in den Helm. Sie nehmen keine Notiz von mir. Ein gutes Stück dahinter kommt die Mutter angeschnauft, mit voll bepacktem Anhänger am Fahrrad. Klassisches Rollenbild.
Der Weg ist prima ausgebaut und wirklich kaum breiter als ein Fahrradweg. Vermutlich wird er aber auch als landwirtschaftlicher Weg genutzt werden und als Verbindungsweg zum nächsten Dorf. Denn die müssen ja auch irgendwie nach Hause kommen.
So fahre ich durch saftig grüne Felder nach Kriele. Ein kleines, zu dieser Uhrzeit etwas ausgestorben wirkendes Dörfchen. Ich suche den Weg der mich weiterbringt. Auch er ist wieder solch eine Fahrradstraße, same procedure. Hier kommt mir tatsächlich nach ein paar hundert Metern ein Auto entgegen. Aber der Fahrer nimmt auch keinerlei Notiz von mir. Soo verboten kann das alles nicht sein. Bei uns hätten sie sicher schon gemeckert.
Bei einem kleinen Kanal halte ich an und schaue mich etwas um. Wieder ein Auto. Meine Hochrechnung scheint aufzugehen. Auf dieser Straße fahren am Tag zwei Hände voll Radfahrer und ein paar verlorene Autos, die zu den Dörfern gehören. Und noch ein Trecker. Aus. So wird es sein. Wie ich mich wieder auf Gesa schwinge kommt tatsächlich noch eine kleine Gruppe Radfahrer. Auch die nehmen von mir keine Kenntnis. Also, Motor an und weiter.
Beim nächsten Ortsschild stocke ich allerdings.
Ob man hier wohnen möchte? Ich bin mir nicht sicher...
Der Weg nach Stechow ist aber nun wirklich wohl nur noch ein befestigter Feldweg. Obwohl er in meiner Karte als offizielle Straße geführt wird. In Stechow schaue ich mich ein wenig um, es sieht nett aus dort und ich muss ohnehin meine Karte wieder neu zurechtlegen.
Weiter geht es auf der Bundesstraße 188. Auf ihr komme ich nach Rathenow hinein. In Rathenow findet dieses Jahr auch die Bundesgartenschau statt. Erstmals ist nicht eine einzelne Stadt der Veranstaltungsort, sondern eine ganze Region mit den dazugehörenden Städten. Nach Blumenbeeten steht mir heute allerdings nicht der Sinn, ich drehe eine kurze Runde und mache am Bahnhof Halt. 
Der Rest einer Schmalspurbahn nach Nauen. Im Prinzip ist sie den Weg gefahren, den ich gekommen bin.
Dort habe ich einen Informationskiosk entdeckt, bei dem ich mich nach dem Optischen Museum erkundige. Aber das hat heute, es ist Montag, geschlossen. Da hilft auch keine Buga. Rathenow war und ist Standort optischer Betriebe, es gilt als die Wiege der deutschen Optischen Industrie, Emil Busch hat hier Objektive gebaut, unter anderem eines der ersten Zoomobjektive, Brillengläser kommen von hier, aber das Museum muss warten, bis ich irgendwann mal wiederkomme. Ich überquere die Havel und biege in Richtung Steckelsdorf ab.
Je weiter ich nach Norden komme, desto besser wird das Wetter. Wald und Felder begleiten mich, bis ich irgendwann nach Havelberg gelange. Hier scheint sogar zeitweise die Sonne. Ich drehe eine kleine Runde durch die Stadt. Das sieht vielversprechend aus, also suche ich mir einen Parkplatz. Da hatten eben doch zwei Motorräder geparkt, was wäre denn damit. Ich finde dort noch ein Plätzchen für Gesa, nehme das wichtigste mit und begebe mich auf Erkundungstour. Vielleicht gibt es hier ja irgendwo einen Kaffee, oder sowas. Da knurrt nämlich auch was.
Havelberg ist wirklich eine schnuckelige kleine Stadt, mit Fachwerk und vielen alten Häusern. Sie zählt auch zu den Hansestädten, ähnlich wie Hamburg, Lüneburg, oder Köln. Das Norddeutsche ist deutlich zu sehen.
Am Marktplatz finde ich auch tatsächlich eine Bäckerei, die geöffnet hat und die auch ein paar Tischchen mit Stühlen zum Sitzen bietet. Fein. Hier trinke ich einen Kaffee und esse eine Kleinigkeit, bevor ich mich wieder auf den Weg zurück zu Gesa mache. Tankrucksack, Helm, alles andere habe ich bei ihr gelassen und es ist in der Zwischenzeit nichts weg oder dazu gekommen. Auf dem Weg zu Gesa treffe ich die anderen beiden Motorradfahrer, Vater und Sohn. Der Vater hat das Motorradfahren in durchaus fortgeschrittenem Alter wieder angefangen, hat eine Honda NC 750 X und der Sohn eine nagelneue MT 09 Tracer. Die hat er ohne Probefahrt und alles gekauft und ist happy damit. Sie wollen an die Ostsee, eigentlich heute noch, aber das wird wohl nichts werden. Das wäre eine sehr sportliche Aufgabe. Wir unterhalten uns noch kurz, dann brausen sie davon. Wie ich mich auch fertig mache, kommt eine Gruppe Touristen vorbei und eine ältere Dame meint wohlwollend zu mir, ich sei wohl eine Emanze. Das hat noch keiner zu mir gesagt...
Auf einer kleinen Landesstraße verlasse ich Havelberg und biege in Legde Quitzöbel ab in Richtung Elbe. 
Auf immer weniger werdenden Straßen komme ich durch eine wunderbare Landschaft nach Wittenberge. Eine kleine Runde durch die Stadt, dann suche ich mir am Hafen eine Parkmöglichkeit. Wittenberge ist eine etwas trist wirkende Stadt, allerdings mit Charme.
Der Hafen von Wittenberge kommt in einem der Lieder vor, die zum endgültigen Verbot der Leipziger Renft Combo in der Mitte der Siebzigerjahre geführt haben. In der "Rockballade vom kleinen Otto" wird das trostlose Leben des "kleinen Otto" in der DDR beschrieben, der vom "großen Otto in Hamburg an der Reeperbahn" liest, dort hinschreibt und um Devisen bittet. Als das Geld ausbleibt, fährt er nach Wittenberge und springt dort auf einen Elbekahn, mit dem er hofft gen Westen zu gelangen. Er kommt aber nicht in den Westen, sondern nur ins Gefängnis. Als die Strafe verbüßt ist, fährt er in suizidaler Absicht abermals nach Wittenberge und geht dort ins Wasser. "Vielleicht taucht er in Hamburg wieder auf". Dieser Text wurde der Renft Combo als Anleitung zur Republikflucht ausgelegt und kam grad recht um die Band, die schon länger ein Dorn im Auge der Machthaber gewesen war, endgültig zu verbieten.
Davon weiß das junge Pärchen, das kichernd und scherzend auf der Bank da drüben sitzt, sicher nichts, denke ich, mache mich wieder fertig und fahre weiter.
Am Ortsausgang von Wittenberge nutze ich die Gelegenheit zu tanken, denn wer weiß, wann die nächste Zapfsäule kommt. Leider gibt es nur 95 Oktan und ich spüre Gesas Blick in meinem Rücken, als ich zum Bezahlen gehe.
Ich fahre weiter durch eine wunderschöne Elbauenlandschaft und nach ein paar Kilometern gelange ich nach Dömitz. Ich habe Mecklenburg Vorpommern erreicht. Dömitz ist eine kleine Stadt an der Elbe, mit einer alten Festung, in der Fritz Reuter seinerzeit inhaftiert gewesen ist, jener bekannte niederdeutsche Schriftsteller, der mit seinen "Läuschen un Riemels" bekannt geworden ist und seine Haftzeit in Dömitz unter anderem in seinem Werk "Ut mine Festungstid" verarbeitet hat. Begraben liegt er weitab seiner norddeutschen Heimat in Eisenach. Die Eltern meines Urgroßvaters hatten ihn in seiner Neubrandenburger Zeit kennengelernt und zählten zu der Runde, in der Reuter neue Verse und Geschichten vorzutragen pflegte.
Ich parke in der Nähe der Kirche und touristele etwas. Bis nach Dömitz hinein bin ich noch nie gekommen. Auf der anderen Seite der Elbe habe ich schon mal gestanden und herübergeschaut. Das war im Juli 1989. Ich hatte im Landkreis Lüchow Dannenberg zu tun und so stand ich auch irgendwann auf dem Stumpf der alten, im Krieg zerstörten Straßenbrücke. Unser Tun dort fiel auch bald den Grenzsicherungskräften auf der anderen Elbseite auf und so tauchte alsbald ein Trabant - Kübelwagen auf, mit zwei Leutchen drin, die nacheinander ein Riesenfernrohr, ein Riesenobjektiv und einen Telefonhörer aus ihrem Auto zogen. Erst beobachteten sie uns, dann fotografierten sie uns und schließlich machten sie Meldung. Dann warteten sie noch eine Weile und fuhren wieder davon. Ob sie uns doch für harmlos befanden, oder man schon Bescheid wußte - keine Ahnung.
Obwohl im Sommer '89 die Bürger dem Land zwischen Elbe und Oder bereits scharenweise davonliefen und wir Witze machten, von wegen der Letzte macht das Licht aus, hätte sich niemand von uns, die wir damals dort standen, vorstellen könne, daß ein paar Monate später diese Grenze auf einmal nicht mehr da sein würde.
Juli '89. Nichts ist weiter weg als die andere Flußseite.
Jetzt stehe ich in dieser Stadt, die damals unerreichbar gewesen ist und schaue durch das Schaufenster eines ehemaligen Karstadt Kaufhauses in leere Räumlichkeiten. Die Stadt sieht an vielen Stellen noch sehr urtümlich aus, es ist lange nicht alles restauriert, aber es herrscht noch Leben in den kleinen Geschäften rund um die Kirche.
Es hilft nichts, ich muss weiter. Es wird Zeit. Und irgendwann möchte ich auch mal ankommen...
Eines werde ich mir aber nicht nehmen lassen, ich fahre über die neue Dömitzer Brücke. Einmal hin und einmal wieder zurück. Es ist ein ganz unbeschreibliches Gefühl. An die alte Brücke erinnert dabei nichts mehr, die neue ist viel breiter und ich kann auch nicht anhalten um ein Bild zu machen. In voller Fahrt mache ich mit der Linken rasch ein Foto und stopfe dann die Kamera wieder in die obere Tasche vom Tankrucksack.
Ich biege auf die B 195 ein und bin nach kurzer Strecke in Niedersachsen. Das Amt Neuhaus gehört seit 1993 wieder zum Landkreis Lüneburg und zu Niedersachsen.
Die Bundesstraße ist schmal und kurvig und es gibt nicht allzuviel Verkehr. Doch scheint das nicht immer so zu sein, denn an einer Reihe von Bäumen sind orange gestrichene Rollstühle angebracht, als Mahnung an die Verkehrsteilnehmer. Ich nehme mir dieses Beispiel zu Herzen und verhalte mich angemessen. Dennoch überhole ich irgendwann den Bus, den ich schon vor mir hatte, bevor ich zu meinem Schlenker über die neue Dömitzer Brücke abgebogen bin und den ich nun wieder eingeholt habe.
Die Strecke führt durch eine herrliche grüne Marschlandschaft, vorbei an typischen Gehöften, durch kleine Dörfer, sie führt an Sanddünen vorbei, am Wald entlang, macht ein - zwei etwas unerwartete Biegungen und führt mich schließlich nach Boizenburg.
Am Rathaus halte ich kurz an. Ich entschließe mich, es bei etwas Expresstourismus zu belassen und will mich gerade wieder aufs Motorrad schwingen, als ich von einem Ehepaar angesprochen werde. Ob ich heute noch bis Mainz fahren würde. Nein, natürlich nicht! Wir unterhalten uns noch ein paar Takte, er ist dabei der Wortführer, sie hat nichts zu melden und dann trennen sich auch unsere Wege wieder. Ich winke ihnen zu, als ich weiterfahre.
Kurz hinter Boizenburg erreiche ich die ehemalige Grenze zwischen der DDR und der BRD. Auf einem Grünstreifen zwischen den Fahrbahnen steht noch ein kleiner Wachturm. "Checkpoint Harry" heißt der ehemalige Kontrollpunkt "Vier" heute, es gibt eine Gastwirtschaft, aber ich halte nur kurz an um ein Foto zu machen und bin danach auch schon wieder verschwunden.
Lauenburg durchfahre ich ohne Halt, es ist eine recht hübsche Stadt, deren historischer Teil unten an der Elbe wirklich sehenswert ist. Ich komme an Krümmel vorbei und durch Geestacht, Bergedorf ist nicht mehr weit, war ich eben noch in Schleswig Holstein, komme ich nun nach Hamburg.
Vorbei an den Boberger Dünen rolle ich in die Stadt. In Hamm spuckt mich die autobahnähnlich ausgebaute B5 auf der Eiffestraße aus. Neben mir an der Ampel LKW, die hier nicht zimperlich sind und vor mir ein Offenbacher. In der Nordkanalstraße biege ich ab, fahre hoch zum Hauptbahnhof, ich habe keine Lust auf Klostertor, dann die Steinstraße entlang und biege schließlich auf die ehemalige Ost - West Straße ab. Ich muss mich hier etwas rüberkämpfen, denn oben am Millerntor will ich abbiegen auf die Reeperbahn. Hier ist viel Polizei zu sehen, am Spielbudenplatz Mannschaftswagen, ich sehe zu, daß ich weiterkomme. Am Nobistor nach Altona rein, die Königstraße hoch und vor dem alten Theater beim Abendblatthaus dann eine Vollbremsung. Eine Gruppe hirnloser Radfahrer taumelt plötzlich zu mir auf die Straße. Sie schauen mich blöde an, während ich etwas unverständliches in den Helm schimpfe und Gas gebe. Ich habe heute abend keine Lust mehr auf Elbchaussee und schlängele mich auf bekannten Wegen durch die Elbvororte. Die tiefstehende Sonne blendet mich manchmal, wenn sie durch die Bäume strahlt. Hinter der Kronprinzenstraße biege ich auf den Bockhorst ein, hier hat meine Tante gewohnt, drüben der Garten, die Hecke sieht verheerend aus, noch zwei mal Abbiegen und ich stehe vor dem Hotel für die nächsten beiden Nächte. Ich stelle Gesa vor der Tür ab und betrete das Gebäude. Der Mann an der Rezeption hält mich zunächst für einen Handwerker, bis er mich erkennt, "Ach, Sie sind das!". Mein Zimmer wartet in einem Nebengebäude auf mich. Da bin ich noch nie untergebracht gewesen. Ich schwinge mich auf Gesa und wir fahren die paar Meter zurück, bis zu der beschriebenen Einfahrt. Es gibt eine Tiefgarage, also hinein, es sind auch noch Plätze frei, obwohl ich oben auf dem Parkplatz die Autos schon knubbeln. Gesa aufgebockt, abgeladen, alles Gepäck umgehängt, und gepackt und rauf ins Zimmer. Tür zu, da bin ich.
Nachdem ich meine Sachen im Schrank verteilt und mich umgezogen habe, suche ich mir rasch mein Schreibzeug zusammen und mache mich auf den Weg ins Restaurant, denn ich habe jetzt wirklich Hunger.
Es ist nicht viel los im Restaurant, aber der Fernseher läuft, Fußball. Der HSV hat irgendein wichtiges Spiel für den Klassenerhalt, deswegen auch die Polizei auf St. Pauli. Ich suche mir einen Tisch möglichst weit weg vom Fernseher. Hinten in der Ecke sitzt nur noch ein Pärchen und wartet auf sein Essen. Beide vertreiben sich die Zeit damit, ausgiebig und mit Lautstärke auf Spanisch zu telefonieren. Sie hört auch beim Essen nicht damit auf. Ich bewundere das, wie Leute es hinbekommen, sich das Smartphone an die Backe zu drücken und gleichzeitig das Essen zu schneiden und zu vertilgen. Und dabei nicht aufhören zu reden. Das könnte ich nicht.
Ich bestelle ein Schnitzel und liege damit absolut richtig. Danach hatte es mir ordentlich verlangt. Das Schnitzel schnupfe ich, wie Rossi die Zwischengerade, das Pils und eine Apfelschorle löschen den Durst.
Nachdem ich meine Notizen vom Tage zu Papier gebracht habe, sehe ich zu, daß ich in mein Bett komme, der Tag war nicht ganz ohne und ich will morgen nicht zu lange rumtrödeln.

Das war eine ganz anständige Etappe. 369km bin ich unterwegs gewesen. Soviel zu "Das ist ja nicht weit...!" Ich bin bei Regen in Potsdam losgefahren und bei Sonne in Hamburg gelandet. Dazwischen war viel Wind, aber auch eine Unmenge an tollen Eindrücken. Ich bin wieder in Städten gewesen, in die ich sicher noch einmal zurückkommen werde. Und ich habe wieder diese Freiheit genossen. Ihr wisst schon welche ich meine!